Ein früherer Boxolympiasieger bleibt Erster

Wolfgang Behrendt war der „Erste” und niemand wird ihn je von diesem Platz verdrängen können. Im Dezember 1956 errang er in Melbourne nach einem dramatischen Boxfinale im Bantamgewicht die erste olympische Goldmedaille für die DDR. Warum der damals 20jährige Berliner, der später fast drei Jahrzehnte Sportfotograf beim ND war und auch in dieser Branche manche Goldmedaille gewann, am Dienstag eine Drittelseite in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung füllte, ist nicht mit zwei Worten zu erklären.

Die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Dikatur hatte sich unlängst einfallen lassen, eine Ausstellung mit einem diffizilen Titel im Bundestag zu präsentieren: „Ästhetik und Politik. Deutsche Sportfotografie im Kalten Krieg!”. Die Arrangeure hatten auch Behrendt um Bilder gebeten, von denen ihnen allerdings nur zwei tauglich erschienen. Das eine stammte nicht einmal von dem Olympiasieger, sondern war eher zufällig von seiner Frau geknipst worden, als Behrendt irgendwann mal zufällig neben Norbert Blüm zu stehen gekommen war. Wie dieses Duo dem Kalten Krieg im Sport zuzuordnen sein könnte, beantwortete die Ausstellung nicht. Dafür gab Behrendt im Interview mit dem FAZ-Sportredakteur Michael Reinsch einige Antworten, deren Härte an die Hiebe des früher so schlagschnellen Boxers erinnerten.

Frage: „Fotografieren Sie noch?” Antwort: „Heute, mit der Digitaltechnik, fotografiert jeder. Und in den Zeitungen spielt Kunst oder nicht Kunst keine Rolle. Ich habe einige Jahre lang für eine Zeitschrift in Düsseldorf gearbeitet. Dann rief der stellvertretende Chefredakteur an und sagte: Der Chefredakteur sagt, in unseren Regionen braucht man keine Bilder von Ossis. Wir können dir keine Aufträge mehr geben. Ich dachte, ich höre nicht richtig. Schließlich passierte das im vergangenen Jahr, zwanzig Jahre nach der Wende. Zu DDR-Zeiten war ich ein Pro-Wessi. Heute bin ich durch die Jahre ein Pro-Ossi geworden.”

Frage: „Warum?” Antwort: „Man hat uns das Selbstbewußtsein genommen, unsere Erfolge

totgeschwiegen. Man erkennt unser bisheriges Leben nicht an und hat uns keine neue Chance gegeben.” Frage: „Ist der Sport nicht mißbraucht worden in der DDR?” Antwort: „Ich weiß nicht, ob die DDR führend war allein dadurch, daß Walter Ulbricht eingefallen ist zu sagen: Wenn wir schon nirgendwo führend sind in der Welt, dann laßt es uns im Sport versuchen. In einem anderen Land als der DDR hätte ich vielleicht nie die Unterstützung bekommen, um Olympiasieger werden zu können.” Frage: „Sie waren Mitglied der ersten deutschen Mannschaft, die nach dem Krieg an Olympischen Spielen teilnehmen durfte.” Antwort: „Das war eine gesamtdeutsche Mannschaft. Wir sind von Berlin erst nach Hamburg geflogen, da kamen einige westdeutsche Ruderer dazu. Hinter mir saß einer, der hat erst mal getönt, er fliege nicht mit Kommunisten in einer Maschine. Wenn ich ihn heute treffe, weiß er nichts mehr davon. Aber ich habe die meisten Schläge vorbeigehen lassen an meinem Kopf und mir ein ganz gutes Gedächtnis erhalten.” Frage: „Sind Sie bitter?” Antwort: „Nein. Ich fühle mich nur so, daß alles, was ich sportlich und beruflich erreicht habe, negiert und nur abgerufen wird, wenn es gebraucht wird.” Frage: “Sind die Sportfotos, auch Ihre, die hier zu sehen sind, politische Dokumente?” Antwort: „Ja, allein durch die Art, wie sie ausgesucht wurden. Ich habe immer versucht, die Schönheit des Sports zu zeigen. Für diese Ausstellung hatte ich meine besten Bilder rausgesucht. Doch die wollten sie nicht. Aber der Titel der Ausstellung heißt ja `im Kalten Krieg´. Da kann man wohl keine schönen Sportfotos zeigen, sondern nur solche mit politischer Aussage.”

Immerhin ist auch ein Bild von der Friedensfahrt darunter. Daß die Bundesregierung dem westdeutschen Nationalteam lange Jahre - wegen des Namens! - verboten hatte, daran teilzunehmen, erfährt man in der Ausstellung allerdings nicht.

Junge Welt; 30.12.2010, Klaus Huhn
 
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